Anmerkungen zur Absage der Antifa-Demo in Eisenach

Man macht sich nicht beliebt in der antifaschischen Szene, wenn man die Absage der Demonstration in Eisenach am 18.11., kritisiert. Es ist nachvollziehbar, was die Leute mit ihrem Statement Solidarität mit den Genoss*innen in Eisenach. Was bedeutet das für uns? Sagen wollen. Unsere (Selbst-)Kritik daran als „großstädtische Arroganz“ oder – in den Zwischenzeilen – weltfremde ideologische Position anzutun, trifft die Argumente, die wir anführen jedoch nicht wirklich. Deswegen würde wir uns freuen, wenn ihr sie hört.

Zuallererst gilt es festzuhalten, dass wir für das Prinzip der Autonomie eintreten. Deswegen respektieren wir die Entscheidungen von selbstorganisierten Gruppen, dass sie eine monatelang beworbene Demo absagen – sie haben ihre Gründe und diese gilt es zu respektieren, unabhängig von der eigenen Sichtweise. Denn die Orga von Demos oder anderen Ereignissen oder Protesten ist keine Dienstleistung, sondern zu wertschätzendes Engagement von Genoss*innen. Vorgehalten wird uns, wir seien „Großstadtlinke“, weil wir uns vom Land verabschiedet haben – sei es aufgrund einer konkreten Bedrohungslage oder der alltäglichen Frustration unseres Begehrens nach einer anderen Welt – was oftmals nicht viel mehr bedeutete, als einfach so sein zu können, wie wir sind. Diese Vorwürfe hören wir an und stellen uns ihnen. Wir sehen die Situation unserer Genoss*innen in den Kleinstädten, die es beschissen schwer haben und finden es super mutig, dass sie weitermachen.

Dennoch möchten wir eine Kritik an die Absage der Demo in Eisenach üben. Denn ja: sie wäre ein wichtiges antifaschistisches Zeichen in unseren Zeiten gewesen – trotz den inflationären Hausdurchsuchungen, dem Aufstieg der Neofaschisten und dem Erstarkten autoritär-kommunistischer Gruppen. Dies betrifft nicht vor allem die Eisenacher Genoss*innen, welche es sich mit ihrer Entscheidung sicherlich nicht leicht gemacht und keinen anderen Weg gesehen haben. Kritisieren wollen wir jene antifaschistischen Strukturen, welche diese Entscheidung auf eine Weise in Schutz nehmen, die paternalistische Züge hat. In einer Art Überkompensation schrecken sie davor zurück, die Konfrontation einzugehen. Damit ist hier nicht zuerst die Konfrontation des Gerangels auf einer Demo gemeint, sondern die politische. Es ist das eine, zu verstehen und zugeben, dass man von der kleinstädtischen/ländlichen Realität wenig Ahnung hat und das andere, dies als Vorwand zu nutzen, sich den Herausforderungen der Zeit zu entziehen. Die in ihrem schlechten Gewissen verhafteten, selbsterklärten Großstadt-Antifas sollten dementsprechend ihre paternalistische Haltung überprüfen und darüber nachdenken, warum sie die kleinstädtischen Gegenden, welche sie so vehement in Schutz nehmen, tatsächlich so selten besuchen.

Bei ihnen zu kritisieren ist erstens ganz klar der langweilige Verweis auf die Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg 2024. Rein strategisch gesehen, wissen wir, das es einen Unterschied macht, ob die AfD an der Regierung ist oder nicht; dass wir einen negativen Wahlkampf gegen die extreme Rechte betreiben und es eigentlich auch die Linkspartei – nach den Austritt des Wagenknecht-Flügels – zu unterstützen gilt. Aber solche parteipolitischen Erwägungen anzubringen, um die Absage der Demo in Eisenach zu begründen, erscheint uns als ein Kleinbeigeben vor einer Realpolitik, die radikales Denken im Keim erstickt. Denn was bitte sollte nach den Landtagswahlen anders sein, als zuvor? Die politische Situation wird sich für antifaschistisches Engagement in absehbarer Zeit nicht verbessern. Doch damit sie sich – und damit auch unsere ganz persönliche – Situation nicht verschlechtert, gilt es uns stark zu machen und selbstbewusst zu demonstrieren.

Zweitens erscheint uns die Diskussion um die Absage der Demo in Eisenach als eine pseudo-demokratische Debatte. Man kann nicht demokratische Rechte und Freiheiten in Anspruch nehmen und sie dann fallen lassen, wenn sie ebenso Gruppen zukommen, die man widerwärtig findet. Deswegen war der Ruf nach einem härteren Vorgehen der Bullen gegen Nazis immer schon so dumm. Letztendlich richtet sich die Aushöhlung der Versammlungsfreiheit, die abnehmende institutionelle Kontrolle der Polizei und der Verfall der Neutralität der Justiz, immer stärker gegen uns, als gegen unsere Feind_innen. Aus diesem Grund muss man auch akzeptieren, dass man nicht die vollkommene Kontrolle über eine Versammlung haben kann, zu der man aufruft. Die Alternative besteht in unangekündigten Demos – wozu uns derzeit die Stärke fehlt.

Drittens, was ist das für eine merkwürdige Vorstellung, eine Demo mit „reinen“ Inhalten veranstalten zu wollen? Natürlich ist es scheiße, wenn verachtenswerte autoritär-kommunistische Gruppen wie „Young Struggel“ sich ankündigen, obwohl sie niemand dort haben will. Deswegen ist die Auseinandersetzung mit diesen Gruppen zu führen. Worum es nicht gehen sollte, ist die Frage, ob deswegen eine wichtige Antifa-Demo stattfinden sollte oder nicht. Die Vorstellung einer „Reinheit“ der Positionen und Inhalte und ihrer Aktionen von Gruppen ist unbedingt zu kritisieren. Jene, welche sich im schlechten Gewissen dem „Großstädtischen-Szene-Klüngel“ zurechnen, reflektieren dieses dabei lediglich – anstatt sich als autonome Akteure zu verstehen.

Viertens: Was bedeutet es, ein autonomer Akteur zu sein? Es bedeutet Strukturen und Beziehungen zwischen Genoss*innen an verschiedenen Orten zu organisieren und Diskussionen darüber zu initiieren, wo wir hinwollen. Es bedeutet, Initiative zu ergreifen und die Konfrontation einzugehen. Das ist etwas anderes als das bequeme ACAB-Maulheldentum der Großstadtlinken. Der Staats-Antifaschismus der letzten zwei Jahrzehnte hat uns verwirrt. Antifaschismus sollte eine autonome Bewegung sein. Bei jeder Hausdurchsuchung merken wir, dass wir ein Dorn im Auge der Herrschenden sind. Natürlich braucht es (wieder) mehr Strukturen und Verankerungen vor Ort, in den kleinen Städten. Doch es ist auch eine individuelle Entscheidung, wo Genoss*innen hinziehen und aktiv sind. Wir stehen, wo wir stehen – und nur von dort aus können wir uns engagieren. Die Linkspartei diftet – notwendigerweise – in eine bewegungslinke Richtung. Diese steht uns nahe und ist mit uns ganz praktisch in vielerlei Hinsicht solidarisch. Diese Solidarität wollen wir stärken und weiter entwickeln. Dennoch ist es ein Wert für sich, die Autonomie jenseits parteipolitischer Strukturen zu bewahren. Dahinter verbergen sich prinzipielle, aber auch ganz pragmatische Gründe.

Letztere bestehen unter anderem darin: Statt von einer Demo-Orga (über Eisenach hinaus) zu erwarten, dass sie deine von den Inhalten und dem Ablauf her „perfekte“ Demo organisiert, sollten sich alle Teilnehmenden darin so gut es geht selbst einbringen. Was für eine problematische Vorstellung steckt darin, den Inhalt und Ablauf einer Demo komplett vorzeichnen zu wollen, anstatt sie als Ausdruck dessen zu verstehen, wie die Bewegung gerade aufgestellt ist? Das Ziel sollte nicht darin bestehen, ein Erlebnis zu generieren, dass die Teilnehmenden konsumieren können. Mit einer Demo sollte der Raum aufgemacht werden, damit sich Gruppen mit verschiedenen Standpunkten bestärken und auf ihre jeweilige Weise beteiligen können. Man sollte antisemitische K-Gruppen ausladen. Doch wenn diese trotzdem kommen, gäbe es Möglichkeiten, sich deutlich von diesen zu distanzieren und sie auflaufen zu lassen. Statt den als Bewegungs-Management agierenden Leuten im Hintergrund hinterherzulaufen, gilt es mehr Menschen in kollektive Diskussionsprozesse einzubeziehen. Statt im vorlaufenden Gehorsam vor Polizeischikane klein beizugeben, gilt es dieser entgegenzustehen – denn die staatliche Repression geschieht und wirkt auch völlig unabhängig davon, ob von unserer Seite jemand kriminalisierbare Handlungen durchführen sollte.

Es besteht eine Verantwortung von Menschen, die zu einer Demo aufrufen, für jene, die teilnehmen. Deswegen gilt es Risiken und Folgen in der jeweiligen Situation gut abzuschätzen und diese zu kommunizieren. Wir müssen nicht noch mal zusehen, wie wir ins offene Messer laufen wie am 03.06. in Leipzig. Aber es ist paternalistisch, diese Verantwortung als Ausrede zu nutzen, um andere Gruppen in ihrer Autonomie zu beschränken und sie diese gar nicht erst entwickeln zu lassen. Eine Antifa-Demo kann kein safe-space sein. Unsere Sicherheit ist weniger davon abhängig, wie gut gescriptet eine Demo abläuft, sondern davon, wie bewusst, bedacht und selbstständig die teilnehmenden Gruppen agieren. Dies gilt es endlich wieder zu lernen und zu stärken – gerade in Hinblick auf die zunehmende Faschisierung der Gesellschaft und die räudigeren Bedingungen für antifaschistisches und anderes emanzipatorisches Handeln.